Kapitel 7: Schritt 2

Ja, mein Leben hing am seidenen Faden und ja ich bin 50.000 Mal aufgewacht nur um darauf wieder in die flackernde Welt des Nichts zurückzukehren. Aber ganz ehrlich… wen interessiert das? Fakt ist, ich musste die Woche im Krankenhaus bleiben, weil ich mir vom Aufprall ins Wasser eine Gehirnerschütterung zugezogen hatte. Aber Fakt ist auch, dass mir Casper das Leben gerettet hatte und dafür war ihm mein Vater unglaublich dankbar. Ein Nachbar hatte das Spektakel gesehen und aufgenommen, dann ohne zu fragen einfach auf YouTube gestellt. Casper hatte mir dann bei seinen täglichen Besuchen erzählt, dass ihn alle angestarrt und deswegen gefeiert hatten. Außer Rebecca vielleicht, die wäre glücklicher gewesen, wenn ich gestorben wäre. Unser Plan, erst so zu tun, als wären wir nicht zusammen, damit alle Vermutungen aufstellten, dass wir es doch sind, konnten wir dann kicken, aber das machte nichts. Chuck hatte, als er gehört hatte, was mir zugestoßen war, sich entschlossen unsere kleine nächtliche Aktivität doch für sich zu behalten. Fürs Erste. Er kam mich sogar einmal besuchen, hatte mir eine Krankenschwester gesagt, mitbekommen hatte ich von dem Besuch nur wenig. Als ich nach einer Woche dann heimkam, hatte ich allerdings immer noch Hausarrest und auch wenn mein Vater froh war, dass mir nichts passiert war, er war umso wütender. Er hatte jetzt Piepser an meinem ganzen Stockwerk angebracht, dass sobald ich ein Fenster oder die Tür zur Terrasse öffne der Alarm losgeht. Ich konnte nur noch in die Schule gehen und danach wartete immer pünktlich mein Vater persönlich auf mich. Der Chauffeur hatte seinen Job verloren.

 

Der erste Tag in der Schule verlief ziemlich ruhig. Mich starrten alle an, aber das war ich von meinem alten Leben gewöhnt und ich ignorierte die Tatsache, dass meine Haut von blauen Flecken gezeichnet war ganz einfach. Als ich Casper über den Weg lief, gingen wir langsam aufeinander zu, blieben mitten im Flur dicht voreinander stehen und sahen uns tief in die Augen. Dann zog er mich in einen hektischen Kuss und ich grub mich in seine Arme. Als hätten wir uns hundert Jahre nicht mehr gesehen. Er verzog das Gesicht schmerzlich und löste sich von mir: „Ich hatte solche Angst um dich.“ Er war so ein guter Schauspieler, dass mir ein Schauer über den Rücken lief. Ich antwortete nicht und umarmte ihn erneut. Es waren gerade Mal 10 Schüler im Flur, aber am Ende dieses Schultages, wusste es die ganze Schule. Es war offiziell, wir waren zusammen.

 

Schritt eins war geschafft. Kommen wir zu Schritt zwei.

 

Einen Tag später setzte ich mich wieder, wie gewohnt zum Essen an meinen eroberten Tisch. Felix neben mir. Er stocherte nachdenklich in seinem Essen herum und hob schließlich den Kopf: „Willst du nicht mit der Gruppe essen?“ Ich hob den Blick mit einem leichten Lächeln. Er hatte ja keine Ahnung… „Ach Felix…“ hauchte ich und unterbrach das Essen für einen Moment. „Ich würde mich schlecht fühlen, dich alleine zurück zu lassen, schließlich hast du mich von Anfang an alleine unterstützt.“ Ich nahm dieses Mal nicht den Apfel, denn Äpfel waren aus, sondern eine Orange und schälte sie geschickt. Wie immer waren alle Blicke auf mich gerichtet und heute hatte sich die schlaue Rebecca entschlossen mal nicht zu rebellieren und sich gleich wo anders hingesetzt. Die Türen schwangen auf und die Gruppe kam rein, doch dieses Mal interessierte sich keiner für sie, denn Casper war nicht dabei. Die Blicken blieben also auf mir. Die Gruppe stand erst einmal verblüfft in der Mitte des Raumes, als sie bemerkten, dass sich jemand auf ihren Platz gesetzt hatte. Ich sah langsam auf, als hätte ich sie erst jetzt bemerkt und lächelte. Dann wank ich speziell Philadelphia zu mir rüber. Sie zögerte, doch dann begriff sie, dass ich dafür sorgte, dass die Gruppe wieder Aufmerksamkeit bekam und es dann vielleicht nicht so gut rüber kam, wenn sie unbeteiligt im Raum standen. Also hob sie den Kopf, als hätten wir schon ausgemacht, dass wir zusammen essen würden und sie kam mit der Gruppe rüber zu meinem Tisch. Da zog auch schon Casper in den Raum ein und alle hielten den Atem an, was jetzt wohl passieren würde. Capser überholte mit zielstrebigen, schnellen Schritten seine Schwester, setzte sich auf der anderen Seite neben mich, da die eine Seite schon durch Felix besetzt war und küsste mich. Ich lächelte in den Kuss hinein und als er sich von mir löste, zog er ein Kästchen aus seiner Jackentasche und reichte es mir: „Das ist für meine wunderschöne Prinzessin.“ Ich sah mit leuchtenden Augen auf das Kästchen hinab und nein, das war nicht ausgemacht gewesen, aber Casper war schlau genug um keine Dummheiten zu machen. Ich nahm das Kästchen also vorsichtig in die Hand, als sich auch schon die Gruppe zu uns setzte. Dann öffnete ich es und ein silbernes Armband kam zum Vorschein. Ich schlug eine Hand vor den Mund um meine Überraschung auszudrücken und sah ihn gerührt an. „Das ist wunderschön.“ Er lächelte. Ich küsste ihn auf die Wange und er machte mir das Armband um mein schlankes Handgelenk. Da brachen auch schon die Gespräche aus und wir konnten endlich aufhören mit dem Theater. Ich grinste ihn an und er grinste zurück. Wer nicht grinste war Chuck.

 

Ich freundete mich in dieser Pause ganz gut mit Philadelphia an, als ich ihr erklärte, dass Casper und ich unsere Beziehung eigentlich geheim halten wollten, aber das Video uns zuvor gekommen war und es nicht unsere Absicht war, sie irgendwie zu verdrängen. Es lief gut, denn bisher wurde ich nur geliebt, nicht gefürchtet. Aber das ging irgendwann zu weit, als mich zig Leute fragten, ob ich mit ihnen Essen wollten. Was bildeten die sich eigentlich ein? Mit normalem Volk isst die Königin nicht. Es musste klar werden, dass sich die Schüler dieser Schule diese Frage nicht erlauben konnten. Wenn mich jemand fragte hob ich also arrogant den Kopf, als hätte ich nichts gehört und ging einfach weiter.

 

Die Leute hielten mich aber immer noch für die soziale Prinzessin Kate und eigentlich wollte ich lieber die böse, aber heiße Stiefmutter von ihr sein. Das ging dann aber so weit, dass, als ich mal wieder an einem Dienstag alleine saß, weil die Gruppe eine halbe Stunde länger Schule hatten, drei Jungen und ein Mädchen an meinen Tisch kamen und sich einfach hinsetzten ohne zu Fragen. Ich konnte im Augenwinkel sehen, wie Rebecca grinste, denn sie hoffte, dass mir das gleiche passierte wie mir. Ich sah schließlich genervt auf und stöhnte. Dann stand ich auf und räusperte mich. Sofort war alles totenstill und Felix überlegte angestrengt, ob er auch aufstehen sollte. „Leute, ganz ehrlich. Ich bin neu hier, bin ein junges Mädchen und habe die Liebe meines Lebens gefunden.“ Ich seufzte verträumt und andere stiegen in den Seufzer mit ein. Ich sah mich um, in die erwartungsvollen Gesichter. „Warum gönnt ihr mir dieses Glück nicht?“ fragte ich dann mit enttäuschter Miene und plötzlich zog irgendjemand scharf die Luft ein. „Ich meine ihr fragt mich alle, ob ihr neben mir sitzen könnt… Ist ja nett, aber ist doch klar, dass ich mit meinem Herz sitzen möchte. Und jetzt setzen sich irgendwelche Idioten einfach hier hin.“ Mein Ton wurde scharf, verletzt und streng. Die Jungen blickten sich verwirrt an, ratlos, was sie tun sollten. „Ich habe nicht die Kraft um so viele Menschen abzuweisen. Also lasst es einfach, ok? Ich will mein Leben leben, wie jeder von euch und zu meinem Leben gehört nun Mal Casper.“ Ich starrte nun die, die sich an meinen Tisch gesetzt hatten wütend an: „Also akzeptiert es und verpisst euch!“ Das Mädchen zuckte zusammen und war wie erstarrt, doch die Jungen packten sofort ihre Tablets und standen auf. Einer zog dann das Mädchen mit, das sein Essen verwirrt zurückließ. Ich setzte mich als wäre nichts geschehen und aß weiter. Plötzlich stand Rebecca auf und nutzte die Stille, die noch immer anhielt. „Leute, sie ist gerade voll ausgerastet, wegen so einer Kleinigkeit. Sie kann doch wohl einmal wo anders, oder ohne Casper sitzen?!“ Doch noch bevor sie den Satz ausgesprochen hatte, lösten sich die Blicke von ihr und die normalen Gespräche brachen wieder aus.
„Rebecca hat Recht, du hast eigentlich das genau gleiche gemacht wie sie, warum interessiert die Leute das nicht?“ fragte Felix eher fasziniert, als kritisierend. „Weil sie mich lieben…“ sagte ich lächelnd und biss genüsslich in mein Brötchen, welches ich neben meinem Obst heute noch verspeiste. Doch es war nicht, weil sie mich liebten, es war eine einfache Philosophie. Ich hatte erst Mitleid erweckt und mich somit im Voraus für meinen Ausraster entschuldigt. Mich würde niemand mehr fragen. Aber für böse hielten sie mich immer noch nicht, dazu war es zu früh. Ich musste meinen Platz erst noch festigen.

 

Am dritten Tag dieser Woche kam uns auf dem Flur ein Mädchen entgegen. Als ich gerade mit Felix ausgiebig über die Herbstkollektion sprach, er ist zwar schwul, trägt aber trotzdem normale Jungenkleidung, also hört auf homosexuelle Jungen in diese pinke Make-up-welt zu stecken, blieb das Mädchen vor uns stehen. Natürlich gibt es auch Jungen, die Make-up mögen und pink tragen, daran ist rein gar nichts falsch… Das Mädchen sah mich an und reichte mir dann ohne ein Wort ein Papier. Ich sah auf das Papier hinab und sah, wie sich mich Fotogetreu gezeichnet hatte. Ich lächelte. Aber ich nahm die Zeichnung nicht. Die Zeichnung war richtig gut und ich war mir sicher, dass sie mehrere Stunden daran saß, aber ich konnte jetzt nicht anfangen auch noch nett zu werden, sie mussten Respekt haben. Sie mussten, Angst haben. Ich sah auf sie herab, obwohl sie gleichgroß war und lachte: „Die ist gut… Ich hab nur leider keinen Platz in meinem Zimmer. Trotzdem Danke.“ Dann ging ich an ihr vorbei und Felix folgte mir etwas düster. Es war klar, dass er das nicht gut fand, denn sie hatte ja nichts getan, aber ich musste mir meinen Thron sichern und das war wichtiger als das Herz eines Mädchens und eine Zeichnung. „Du warst ein Vorbild für sie, was soll das?“ fragte mich Felix und holte mich schließlich ein. „Ich war noch nie ein gutes Vorbild.“ Sagte ich nur tonlos und ging weiter. Ich sah Casper mit Philadelphia reden. Ich ging auf ihn zu, hing mich um seinen Hals, küsste ihn ausgiebig, lächelte Philadelphia an und ging weiter. Felix folgte mir immer noch. „Das stimmt, du springst aus deinem Fenster, bist unfreundlich und rebellisch und trotzdem lieben dich alle… Kein gutes Vorbild, aber ein Genie.“ Ich lächelte und blieb augenblicklich stehen um mich umzudrehen und ihn anzusehen. Er lief jedoch weiter und stieß deswegen gegen mich. „Sorry.“ Lallte er und wich einen Schritt zurück. „Schon gut, du bist schwul.“ Sagte ich nachdenklich und vergaß einen Moment, dass ich ja eigentlich eine Bitch war. „Eigentlich glaube ich eher, dass du ein Genie bist Felix.“ Er hob eine Augenbraue und ich nickte: „Ja das bist du. Du hast von Anfang an erkannt, dass du dich nur an mich heranhängen musst um mit nach oben gezogen zu werden. Die ganze Schule kennt dich.“ Er sah mich an und dann fuhr er sich verlegen durchs Haar: „Du hast Recht, aber das ist nicht der Grund. Siehst dus nicht? Die Leute sehen mich, aber sie kennen mich nicht. Keiner kennt meinen Namen, sie wissen nur, dass ich der Trottel bin, der dir immer an der Backe klebt.“ Ich runzelte die Stirn und verschränkte die Arme vor der Brust: „Was ist es dann, warum folgst du mir, obwohl du mich schrecklich findest?“ Er schluckte und ich merkte, dass er hier auf dem Flur, wo uns jeder belauschen konnte nicht reden wollte. „Draußen?“ fragte ich und er nickte.

 

Wir gingen raus, in die hinterste Ecke des Pausenhofes. Wir hatten eigentlich Unterricht, deshalb war es ziemlich leer auf dem Hof. Er lehnte sich an eine Wand und verstaute seine Hände in den Hosentaschen, dann lächelte er schwach: „Der Grund warum ich dir folge ist…“ Ich sah ihn interessiert an und schlang meine Arme um meine Schultern, da es ziemlich frisch draußen war. „Du erinnerst mich an meine Schwester.“ Okay, das hatte ich nicht erwartet. „Ja und?“ fragte ich wenig begeistert und drehte meinen Fuß auf dem Boden hin und her. „Sie war ziemlich schnell ziemlich weit oben und hat sich dann ziemlich ätzend verhalten und was soll ich sagen. Ich mochte sie nicht wirklich, aber sie war meine Schwester und ich vermisse sie.“ Ich sah ihn an und zuckte mit den Schultern: „Warum gehst du nicht zu ihr?“ Er lachte auf, doch es war kein fröhliches Lachen, sondern eher ein gekränktes: „Ich glaube an Karma June. Sie wurde von einem Lastwagen überrollt und ist tot und ich glaube auch nicht, dass du ungestraft davonkommen wirst. Das ist alles nur eine Frage der Zeit.“ Ich war eher unberührt und unbeeindruckt über seine Moralpredigt über Karma und seine Schwester. „Also bin ich nur dein Projekt und du schätzt wie lange ich noch ungestraft davonkomme?“ Er nickte: „Sozusagen.“ Autsch, da war er direkt, aber es machte mir nichts. Denn er war ein guter Helfer und ich glaube, dass es ohne ihn um einiges schwerer gewesen wäre. Ich nickte: „Okay, du wirst schon sehen, dass nichts geschehen wird.“ Ich lächelte und er erwiderte mein Lächeln gefährlich ruhig. DU wirst schon sehen Ace.