Kapitel 4: Königin der Nacht

Einige Zeit verging auf der Tanzfläche, in der er mich um sich herumwirbelte und der leichte, kaum vorhandene Körperkontakt knisterte zwischen uns. Als wir uns schließlich entschlossen aufzuhören lächelte ich zufrieden von dem ausgefallenen Tanzstil und Casper führte mich zu der Bar und gab mir einen Drink aus. „Ich habe dich noch gar nicht nach deinem Namen gefragt.“ Gestand er schließlich und lehnte sich in einen der Barhocker zurück. Ich setzte mich auf den Stuhl neben ihm und überschlug die Beine, dann sagte ich mit leichter Stimme ernst: „Es verletzt mich, dass du ihn nicht bereits von anderen erfahren hast…“ Ich fuhr mir langsam durch mein Haar und nahm dann mein Glas in die Hand um einen Schluck zu trinken. Casper hatte den Anstand den man von einem reichen Jungen erwartete, aber immer noch war ich nicht darauf gekommen, was sich hinter dieser Fassade verbarg. Ich war mir sicher, dass es mehr gab. „Du bist das Mädchen das Rebecca von ihrem Tisch vertrieben hat.“ Ich drehte das Glas in meiner Hand und die Flüssigkeit schimmerte darin wie goldener Honig, nur war sie alles andere als süß und alles andere als billig. Ich trank und es brannte, während mit das flüssige Gold die Kehle hinab ran. Dann setzte ich das Glas ab und sah ihn an: „Du kennst also ihren Namen aber nicht meinen, Casper?“ Casper musterte mich und zum ersten Mal fiel mir auf, dass seine braunen Augen das gleiche goldene Glänzen in sich hatten wie mein Getränk. Er lächelte als ich seinen Namen hauchte und beugte sich vor: „Doch ich kenne deinen Namen June, aber der Namen sagt nicht wer ein Mensch ist.“ Dann richtete er sich wieder auf und nuckelte an seinem Glas als wäre nichts gewesen, abgesehen von dem leichten, kaum zu bemerkbaren Lächeln, das seine weichen Lippen umschmeichelte. Ich blickte ihn an und mir wurde klar, dass er mich überrascht hatte, diese Antwort hatte ich nicht erwartet. Ich hatte erwartet, dass er sagte, dass er Rebeccas Namen kannte weil sie amtierende Schülersprecherin war und drei Mal in Folge den Titel Schülerin des Jahres hatte. Sie war eine vorbildliche, freundliche Persönlichkeit gewesen und ich hatte ihren Ruf zerstört. Nach ihrer Wutattacke in der Cafeteria würde sie niemand mehr wählen und alle kannten mein Gesicht, doch mein Name ging nur in einem Flüstern langsam umher. Es würde noch dauern bis ihn jeder kannte. Doch Casper kannte ihn. Chuck kannte ihn ebenfalls, aber er hatte mich noch nie bei meinem Namen genannt, zumindest nicht so offensichtlich, dass ich mich daran erinnern konnte. „Manchmal glaube ich, dass die anderen besser wissen wer du bist als du selbst.“ Sagte er schließlich sinnlich mit halb geschlossenen Augen. Sein Haar war zerwühlt und hing ihm in weiß-goldenen Strähnen ins Gesicht. Seine perfekte Gesichtsform ließ ihn in diesem Moment aussehen wie einen Gott. „Die anderen glauben doch immer es besser zu wissen.“ Sagte ich wenig tiefgründig und kippte das halbvolle Glas Whiskey runter. Ich genoss das Brennen und atmete aus. „glaubst du es auch besser zu wissen?“ Ich dachte nach, betrachtete ihn und seine müde Ausstrahlung, sein Lächeln war verschwunden. Die Gerüchte sagten, dass er Schüchtern war, aber das war er nicht. Er war ziemlich offen für alles, er war sonderbar. Warum gab es diese Gerüchte überhaupt? War er nur in Bezug auf Alkohol so selbstsicher? Das glaubte ich nicht. Die Mädchen sahen ihn immer in der Gruppe, wie er als stille Persönlichkeit kaum etwas sagte im Vergleich zu den anderen vier Jungen die laut und stark waren. Dann war er nicht einmal der hübscheste dieser fünf geballten Naturschönheiten, natürlich dachten sie, er wäre schüchtern. Schüchtern machte ihn schließlich so niedlich, aber er war es ja nicht. Sie hatten keine Ahnung wer er war. „Nein.“ Gab ich schließlich zu und es war schwer für mich zuzugeben, dass ich eine Person nicht nach einem Blick durchschaut hatte. „Ich werde einfach nicht schlau aus dir.“ Fügte ich ruhig hinzu und wartete auf meinen neuen Drink. Ein kurzes Lächeln ließ wieder den unschuldigen Jungen aufflammen, doch ich glaubte auch nicht, dass er das war. „Gut.“ Sagte er, wandte mir wieder den Kopf zu, den er während ich so überlegte starr nach vorne gerichtet hatte. Dann sah er mir in die Augen und ich musste mich zwingen seinen goldenen Blicken nicht auszuweichen, als er dann anfing wieder etwas zu sagen: „Ich werde nämlich auch nicht aus dir schlau June.“ Gerade stellte der Barkeeper mein frisch befülltes Glas auf die Bar und ich wollte danach greifen, als Casper mich in meiner Bewegung unterbrach und nach meinem Handgelenk griff. Sein Blick brannte immer noch auf mir und ich sah zurück in seine Augen: „Du bist stark was den Geist angeht, du bist nicht wie die anderen Mädchen, die sich im Glanz anderer sonnen, sondern du bist lieber der Glanz. Innerhalb einer Woche hast du die ganze Schule dazu gebracht über dich zu reden, aber du hast ihnen nicht viel zum Reden gegeben. Nur den Skandal mit Rebecca und alles was sie wissen ist, dass du dich jedes Mal ganz ruhig hingesetzt hast und einen Apfel gegessen hast. Ich will mehr wissen…“ Ich lächelte und ich konnte nicht verleugnen, dass es mir nicht gefiel, dass sein Interesse gegenüber mir noch fast größer war wie mein Interesse gegenüber ihm. Dann griff ich seelenruhig nach meinem Glas und trank. Ich spürte seinen Blick bei jedem Schluck auf mir ruhen und ich verkniff mir ein Lächeln. Dann wandte ich mich wieder an ihn: „Du willst mehr wissen? Dann komm mit mir!“ Das klang jetzt wohl wie in einem dieser Liebesfilme, aber das was Casper mit mir verband war keine Liebe, es war Wissensdurst. Die Qual nicht zu wissen, was der andere als nächstes tat, nicht zu berechnen können wie derjenige auf Fragen reagierte, es machte uns beide fertig.

 

Ich zog ihn raus, streifte dabei mit meinem Blick Chuck, der mit aufgerissenem Hemd gerade die Treppe hinab geschritten kam und mich finster musterte. Ich ging nicht auf seinen Blick ein. Draußen blieb ich immer noch nicht stehen, ging schnell an Felix der mit dem Typen heftig flirtete vorbei und zog seinen Blick auf uns. Wir befanden uns am Stadtrand, das war gut, denn wir mussten nicht lange gehen, da hörten wir das Dröhnen der Musik nicht mehr und wir sahen die künstlichen Lichter der Stadt nur noch von weitem. Ich blieb stehen, mitten auf der Landstraße und drehte mich zu Casper um, der mich nachdenklich musterte. Er hatte mich bei jedem Schritt beobachtet. „Was siehst du?“ fragte ich und breitete die Arme aus. Casper Sah mich an, betrachtete meinen Körper in der Dunkelheit, ehe er antwortete: „Ich sehe dich mitten in der Nacht auf einer Landstraße stehen und die Arme ausbreiten.“ Ich erwiderte seine Blicke nur kurz und schüttelte den Kopf: „Schau genauer hin!“ Doch er hob eine Hand und trat einen Schritt näher: „Du hast mich nicht ausreden lassen.“ Er schmunzelte und mir wurde plötzlich warm. Wieder eine Antwort die ich nicht erwartet hatte. Er schwieg nochmals einen Moment und ich wartete ungeduldig auf seine Antwort. Das konnte doch nicht so schwer sein. Konnte er sich nicht einmal beeilen? Er atmete durch und begann mit schleichenden Worten von vorne: „Ich sehe dich mitten in der Nacht auf einer Landstraße stehen und die Arme ausbreiten. Mit Anmut einer Königin und Erwartungen auf meine Worte. Die breitest die Arme zu den Sternen auf, die aber nicht das gleiche Funkeln ausstrahlen wie deine Macht Menschen zu manipulieren. Du glaubst du weißt alles und zerbrichst dir den Kopf an mir, wie ich mir meinen Kopf an deinem Kern zerbreche. Der Wind fährt dir durchs Haar, doch dir ist nicht kalt und du denkst dir gerade…“ Ich unter brach ihn überrascht: „Woher weißt du das?“ Casper lächelte und trat einen weiteren Schritt auf mich zu, fuhr mir durchs Haar und grinste: „Ich hab geraten.“ Dann strich er mir die Strähnen, die mir ins Gesicht hingen hinters Ohr und küsste mich. Ich erwiderte und meine Muskeln entspannten sich. Er war mysteriös, das musste ich zugeben, aber glaubt mir wenn ich euch sage, dass ich sowas wie Liebe im Leben nicht fühlte. Ich erwiderte den Kuss und schlang meine Arme um ihn und seine Hände glitten über meinen Rücken, aber niemals weiter. Er hatte kein Interesse daran mich zu befummeln und das machte es mir schwer weiter zu machen. Es war nicht so wie mit den anderen Typen, dass ich einfach mit ihnen schief, des Spaßes wegen, er ging sanfter und unschuldiger vor. Ich spürte seine Zunge, wie sie spielerisch durch meine Lippen glitt und dann fuhr ich ihm durchs Haar, zog zärtlich daran. Ich musste es ignorieren, dass es für mich seltsam war. Ich löste mich von seinem Kuss und legte den Kopf in den Nacken und er machte sich an meinem Hals zu schaffen. Er saugte an meiner Haut und ich roch den köstlichen Duft seiner frischgewaschenen Haare. Ich überlegte nicht lang und schlang ein Bein um ihn, als er inne hielt. „Du weißt, dass ich keinen Sex vor der Ehe möchte.“ Das war wirklich das abturnenste was mir ein Junge jemals beim Rummachen gesagt hatte. Aber er hatte vollkommen Recht, ich wusste es und ich wollte seinen Willen brechen. Ich wollte mit ihm schlafen um die Süße des Erfolges zu kosten, in der Cafeteria neben ihm sitzen und alle Blicke auf mich ziehen. Ich wollte Macht und ich wollte mehr als das. Ich wollte unsterblich werden, wie ich es in meiner alten Stadt schon gewesen bin. „Ja, das weiß ich… Ich weiß auch, dass du der einzige der Gruppe bist, der etwas mit einem Mädchen angefangen hatte nur, damit man ihn nicht für schwul hielt. Ich weiß, dass du nicht so sein willst wie die anderen Jungen aus der Gruppe, die jeder für männliche Bitches hält, auch wenn es niemand ausspricht. Aber ich weiß auch, dass du mich willst und du willst mich jetzt.“ Er legte den Kopf auf meiner Brust ab und ich konnte ihm mühelos durch sein Haar fahren. „Woher weißt du das?“ fragte er mich wie ich ihn zuvor. Und ich grinste verschmitzt, was er zum Glück nicht sehen konnte: „ich habe geraten.“ Ich drückte sanft seinen Kopf nach oben und küsste ihn erneut, dann sah ich ihm in die Augen und hauchte: „Ich will es auch.“ Ich fuhr mit einer Fingerspitze über seine Brust und folgte meiner Bewegung mit meinem Blick. Er nahm mein Kinn in die Hand und hob meinen Kopf bis ich ihn ansah. Er war kaum größer als ich, was wohl an den High-Heels lag. Er zog mich an sich heran und küsste mich erneut, dieses Mal härter als zuvor und er zog mich dicht an sich heran, dass ich seinen Herzschlag an meiner Brust spüren konnte. Dann löste er den Kuss und sah mich an: „Ich will, aber ich kann nicht.“ Ich unterbrach seine Worte mit einem weiteren Kuss. Jetzt gib endlich nach! Gib nach! Ich kann das nicht viel länger durchziehen! Ich löste mich von seinen Lippen, blieb aber direkt vor seinem Gesicht: „Warum nicht?“ Er hatte seine Hände auf meine Hüfte gelegt und blieb stumm. „Du wirst es niemals wollen.“ Sagte ich. Er beugte sich einige Millimeter weiter vor, dass er meine Stirn berührte. „Doch, aber ich will nur eine Frau und diese Frau soll nur mir gehören.“ Wie romantisch er doch war. Ich wich einen Schritt zurück und schluckte. Warum machte er es mir so schwer? Ich wollte doch nur mit ihm schlafen… Ich war nie in die Situation gekommen, dass ein Kerl nicht mit mir schlafen wollte. „Ich bin eine Frau…“ sagte ich laut und er sah mich an. „Und in diesem Moment…“, ich schluckte erneut ehe ich weitersprechen konnte: „in diesem Moment hätte ich nur dir gehört.“

 

Ich wandte ihm den Rücken zu, verschränkte etwas gekränkt die Arme vor der Brust und dieses Gefühl war echt. Ich war enttäuscht. Ich war enttäuscht von mir selbst, denn irgendetwas musste ja nicht stimmen. Ich starrte zum Sternenhimmel hoch, als sich plötzlich starke Arme um meinen Bauch legten. Er legte sein Kinn auf meiner Schulter ab und ich seufzte leise. „Willst du mich heiraten June?“ fragte er leise und ich zuckte zusammen und fuhr herum. „Das soll doch ein Witz sein“ ich starrte ihn an und sein engelsgleiches Lächeln ließ mich wieder nicht aus ihm schlau werden, doch dann schüttelte er den Kopf: „Nein… Ich meine es ernst. Aber natürlich nur symbolisch… wir wären nicht richtig verheiratet nur zusammen. Und wenn du mich nicht mehr willst kannst du dich trennen.“ Er zog einen schwarzen Ring aus Holz von seinem Finger und kniete sich vor mich hin. Ich hatte keine Ahnung was das alles sollte… Er machte mir einen Heiratsantrag um mich dann nicht zu heiraten, sondern nur mit mir zusammen zu kommen? Ich stöhnte und sah auf ihn herab: „Casper wir sind nicht mehr im Kindergarten und ich werde mich nicht auf so eine scheiße einlassen, nur weil du zu feige bist eine Entscheidung zu treffen.“ Er richtete sich langsam wieder auf und fuhr sich durch sein helles Haar. Im schwachen Mondlicht glänzte es nicht mehr golden, sondern war eher wie Elfenbein. „Dich symbolisch heiraten zu wollen ist also keine Entscheidung?“ Ich lachte sarkastisch auf und verkniff mir so manch eine herablassende Bemerkung: „Nein, es ist keine Entscheidung, es ist eine Ausrede. Du willst mit mir schlafen, aber eigentlich willst du nicht mehr und blöderweise steht dir das was du vor einem gefühlten Jahrhundert gesagt hast dabei im Weg. Ich meine ich wäre schließlich für alles offen.“ Er hatte sich seinen schwarzen Ring wieder über seinen Zeigefinger gestreift und fuhr sich verlegen ins Haar. Verständlich es war schließlich eine seltsame Situation. „Du hast Recht. Aber was passiert wenn ich es tun würde? Wenn ich wirklich mit dir schlafen würde. Würden die Leute es erfahren? Und warum willst du es? Bei mir ist es klar, ich steh auf dich, du bist heiß, aber ich kann mir momentan keine Frau an meiner Seite vorstellen weil ich…“ Ich hob eine Augenbraue und unterbrach ihn: „Weil du schwul bist?“ Er sah mit einem Ausdruck im Gesicht an, der mir sagte „Ernsthaft? Du denkst das auch?“ und dann schüttelte er den Kopf und sagte etwas lauter: „Nein, weil ich Drogen verticke und Frauen einfach nicht ihren Mund halten können.“ Also das hatte ich nicht erwartet. Aber natürlich, das war genial! Er hatte ein engelsgleiches Gesicht, lebte eher ruhig, wollte nicht einmal sex. Er war unschuldig in jeder Hinsicht, keiner würde es vermuten. „Männer anscheinend auch nicht.“ Erwiderte ich schnippisch und sah ihn plötzlich aus einer anderen Perspektive an. Er war ein verdammtes Genie. „Casper? Hast du schon einmal darüber nachgedacht alleine an der Macht zu sein?“ Für einen kurzen Moment trat unkontrolliertes Verblüffen in sein Gesicht und ich konnte zum ersten Mal seine Mimik durchschauen. Er machte einfach jedem etwas vor. Wusste seine Schwester von seinem dunklen Geheimnis? „Ich denke…“ begann er und hielt nochmals inne um nachzudenken. „Ich denke es würde mir sehr gut gefallen, aber ich kann so etwas nicht tun. Meine Schwester…“ Ich wusste dass er darauf hinauswollte. Seine Schwester gehörte schließlich zu einem wichtigen Teil der Gruppe. „Deine Schwester stand lange genug vor dir und hat geglänzt. Du bist gerade noch zwei Jahre auf der Schule, jetzt bist du mal an der Reihe.“ Er sah zu Boden und ich konnte an seinen harten Zügen erkennen, dass er wieder nachdachte. Dann sah er plötzlich auf: „Was springt dabei für dich raus?“ Ich lächelte, denn ich wusste, dass er sich bereits entschieden hatte. Was dabei für mich raussprang? Informationen über die Gruppe, sein Glanz, Macht. Ich würde ihn an die Spitze bringen und ihn anschließend vom Thron schupsen. Ich legte den Kopf leicht schief und legte meine Hand an sein Gesicht: „Was glaubst du denn was ich will? Du bist heiß, du bist intelligent und bei dir bin ich nicht eine von Vielen. Ich will neben dir stehen, dich küssen, mit dir zusammen sein.“ Er lächelte verspielt und sein wilder Blick entflammte in mir ein Brennen. „Die Sache steht… June.“